NACHHALTIGKEIT: Wir brauchen einde Revolution

„Wir brauchen eine Revolution“

Die in den Niederlanden beheimatete globale Initiative Shift Cycling Culture will das Thema Nachhaltigkeit langfristig in der Fahrradbranche verankern. SAZbike sprach mit Mitbegründer Erik Bronsvoort.
Erik Bronsvoort – credits Lian van Leeuwen

Die Fahrradindustrie zum Nachdenken anregen und sie langfristig nachhaltiger machen – mit diesem Anspruch startete im vergangenen Jahr die in den Niederlanden beheimatete, aber global aktive Non-Profit-Organisation Shift Cycling Culture. Eines der Hauptthemen der Initiatoren ist dabei, das Prinzip der Kreislaufwirtschaft im Geschäftsmodell von Fahrradfirmen zu verankern. Wir sprachen mit dem Mitbegründer Erik Bronsvoort über seine Eindrücke in Sachen Nachhaltigkeitsbestrebungen in der Fahrradbranche, aktuelle Herausforderungen und mögliche Problemlösungen.

SAZbike: Herr Bronsvoort, Shift Cycling Culture ist eine noch sehr junge Initiative. Was ist die Hintergrundgeschichte des Projekts?

Erik Bronsvoort: Ich komme ursprünglich aus der Bauindustrie. Dort hat man bereits vor zehn, 15 Jahren darüber nachgedacht, wie man nachhaltiger arbeiten könnte. Das hat mich inspiriert und somit habe ich mich mehr und mehr auf dieses Thema spezialisiert. Es dann auch auf das Fahrrad zu übertragen, lag nahe. Mein erstes Projekt war dann mit „Circular Cycling“ ein Fahrradladen, mit dem wir versucht haben, Rennräder mit wiederaufbereiteten Rahmen und Parts zu verkaufen. Das hat allerdings leider nicht so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt hatten – auch wegen der nicht vorhandenen Kreislaufwirtschaft in der Fahrradindustrie.

SAZbike: Wie meinen Sie das?

Bronsvoort: Viele Firmen kochen in unserer Branche sehr gerne ihr eigenes Süppchen. Die Konsequenz sind viele verschiedene Standards und wenig untereinander austauschbare Teile. Auch Parts selbst sind oft so designt, dass es bequemer ist, gleich die ganze Komponente auszuwechseln als einen einzelnen Bestandteil. Statt eines einzelnen, abgefahrenen Ritzelpakets gibt es direkt eine neue Kassette etc. Das macht das Wirtschaften sehr schwierig, wenn man Fahrräder wiederaufbereiten und wettbewerbsfähig verkaufen will. Es dauert einfach zu lange, die passenden Komponenten zu finden, die Bikes zusammenzustellen und aufzubauen.

SAZbike: Wie wollen Sie diese Situation mit Shift Cycling Culture nun ändern?

Bronsvoort: Nach dem Ende des Shops traf ich zufällig meine heutige Kollegin Lian van Leeuwen, die gerade Shift ins Leben gerufen hatte. Wir haben sehr schnell erkannt, dass wir die gleichen Ziele verfolgen, und haben begonnen, zusammenzuarbeiten. Das Ziel ist ganz klar, die Fahrradbranche darauf aufmerksam zu machen, dass sich etwas ändern muss, wenn man nachhaltig sein will. Es reicht eben nicht, sich darauf auszuruhen, dass das Fahrrad ein vergleichsweise grünes Verkehrsmittel ist. Wir brauchen langlebigere Modelle und Teile, bessere Re-Use-, Re-Manufacturing- und Re-Cycling-Maßnahmen und dementsprechend auch von Grund auf durchdachte Prozesse – sprich: eine durchgehende Kreislaufwirtschaft. Wir wollen durch Workshops, Veranstaltungen und Vorträge auf dieses Thema aufmerksam machen und der Industrie gleichzeitig eine Plattform bieten.

SAZbike: Sie haben mit „From Marginal Gains to a Circular Revolution“ sogar ein eigenes Buch darüber verfasst …

Bronsvoort: Genau. Aufgrund der Folgen der Coronavirus-Pandemie konnten wir ein erstes Event mit Herstellern leider nicht durchführen. Also habe ich die Zeit anderweitig genutzt und mit diesem Buch einen Status quo der Fahrradindustrie im Bereich Nachhaltigkeit aufgezeigt, gleichzeitig aber auch Lösungswege gezeichnet.

SAZbike: Wie ist denn der Status quo in Sachen Nachhaltigkeit?

Bronsvoort: Letztendlich arbeiten momentan so gut wie alle Unternehmen mit einem linearen Wirtschaftsmodell – auch „Wegwerfwirtschaft“ genannt. Rohstoffe, die für ein Produkt verwendet werden, werden hier nach der Nutzungsdauer nicht mehr in den Kreislauf zurückgeführt, um sie wiederverwenden zu können. Das ist natürlich alles andere als umweltfreundlich. Es gibt vereinzelte Unternehmen, die derzeit beginnen, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Allerdings reicht es natürlich nicht aus, einen kleinen Nachhaltigkeitsbereich auf der Website einzurichten oder nur am Punkt Verpackungen zu arbeiten. Die Lösung wäre, wie bereits zuvor schon angedeutet, die Kreislaufwirtschaft.

SAZbike: Wie würde die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft übertragen auf die Fahrradindustrie denn aussehen?

Bronsvoort: Alle Materialien würden sich in einem Kreislauf befinden. Es wird produziert, verwendet und dann wiederverwendet oder recycelt. Die Langzeitvision wäre, dass Räder, Equipment und Bekleidung aus biologisch abbaubaren, erneuerbaren oder recycelten Materialien be- stehen. Gleichzeitig sollten die Materialien dank auf Haltbarkeit angelegter Designs länger genutzt werden. Und wenn etwas kaputtgeht, sollte es schnell und einfach getauscht werden können, weil das Design entsprechend reparaturfreundlich ist. Am Ende ihrer Lebensdauer kehren die Räder wieder zum jeweiligen Hersteller zurück, um daraus neue Produkte zu machen. Gleichzeitig sollten Fabriken und Co. nach nachhaltigen Standards arbeiten, Verpackungsmaterial sollte biologisch sein und wiederverwendet werden. Das hört sich nach sehr viel Idealismus an, aber am Ende wäre es eine Win-win-win-Situation: Die Endverbraucher würden profitieren, weil sie zuverlässigere Produkte nutzen würden. Die Industrie würde profitieren, weil sie mehr Wert mit weniger Ressourcen generieren könnte. Und letztendlich gewinnt auch unser Planet, weil er weniger verschmutzt wird.

SAZbike: Das hört sich nach einem weiten Weg an, der noch zu gehen ist …

Bronsvoort: Um in der Fahrradbranche eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren, brauchen wir viel mehr als nur kleine Schritte. Wir brauchen eine Revolution – und das auf allen Ebenen. Die Wahrheit ist doch die: Wenn jeder denkt, dass er oder sie nichts bewirken kann, dann wird auch nichts passieren. Die Menschen haben aber eine immense Macht, positive Veränderungen zu schaffen, indem sie aufstehen und einen Anfang machen, wie klein auch immer. Wenn die Verbraucher anfangen, Fragen an die Händler und an die Marken zu stellen, werden sich die Designs und Geschäftsmodelle ändern. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für die Fahrradhändler, die das Thema zu den Verbrauchern und zu den Marken tragen können.

SAZbike: Sie sprechen damit bereits den Fahrradhandel an: Was können Händler ma- chen, um in diesem Prozess mitzuwirken?

Bronsvoort: Neben den Verbrauchern sollten sie das Thema auch bei ihren Zulieferern und Partnern immer wieder auf den Tisch bringen. Und dann können Fahrradhändler natürlich auch ihr eigenes Geschäft nachhaltiger gestalten. Erneuerbare Energien nutzen, Müll reduzieren, Müll trennen, kein Plastik verwenden, Produkte verkaufen, die eine lange Kilometernutzung haben, und vielleicht auch darüber nachdenken, gebrauchte Produkte wieder zu verkaufen. In Zeiten, in denen Fahrradteile nur schwer zu bekommen sind, könnte das von Beginn an lukrativ sein.

Wie könnte eine nachhaltige Fahrradindustrie aussehen? In ihrem Buch beschreiben die Autoren Erik Bronsvoort und Matthijs Gerrits auf 160 Seiten, wie sich der Wandel zu klimaund umweltfreundlicheren Fahrradprodukten vollziehen könnte. Der Tenor: Kleine Schritte reichen nicht aus, es braucht eine Revolution. Das Buch ist derzeit nur auf Englisch verfügbar, eine deutsche Ausgabe ist laut Erik Bronsvoort allerdings in Planung.

Weitere Informationen gibt es unter www.circularcycling.nl

SAZbike: Blicken wir zum Abschluss in die Zukunft: Wenn wir in zehn Jahren wieder miteinander sprechen würden – mit welchen Fortschritten in der Fahrradbranche wären Sie zufrieden?

Bronsvoort: Beim Thema Nachhaltigkeit muss man langfristig denken. Solche riesigen Prozessänderungen, wie ich sie erwähnt habe, sind natürlich nicht in ein paar Jahren umzusetzen. Nehmen wir einmal die Europäische Union als Beispiel: Hier hat man sich das Jahr 2050 als Zielzeitraum gesetzt, um die Kreislaufwirtschaft einzuführen. Wenn wir über die nächsten zehn Jahre sprechen, könnte es deshalb zum Beispiel ein Ziel sein, dass die ersten High-End-Hersteller Produkte auf den Markt bringen, die im Kreislauf funktionieren. Wir sind fest davon überzeugt, dass dies beispielsweise das nächste große Thema im Rennradbereich ist. Unsere Hoffnung ist, dass die Olympischen Spiele 2028 zur ersten großen internationalen Bühne für nachhaltige Fahrräder werden. Wenn das Thema im Profisport ankommt, dann wird es auch bei den Endverbrauchern ganz schnell gehen.

SAZbike: Herr Bronsvoort, vielen Dank für das interessante Gespräch.

Interview: Werner Müller-Schell

Es reicht eben nicht, sich darauf auszuruhen, dass das Fahrrad ein vergleichsweise grünes Verkehrsmittel ist. Wir brauchen langlebigere Modelle und Teile, bessere Recycling-Prozesse und von Grund auf durchdachte Prozesse – sprich: eine durchgehende Kreislaufwirtschaft.

Erik Bronsvoort